Transformation des ehemaligen Versandareals Quelle, Nürnberg

Das Gebäude des Versandhauses Quelle im Westen von Nürnberg errichtete Ernst Neufert in den 1950er Jahren für den Bauherrn Gustav Schickedanz in mehreren Bauabschnitten. In den darauffolgenden Jahren ist es mit ca. 275.000 m² Fläche zu einem der größten Gebäude Deutschlands gewachsen. Wie auch andere Versandhäuser spielte Quelle eine unverzichtbare Rolle beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und während der beginnenden Wohlstandsjahre.








Projektdaten:
Transformation des ehemaligen Versandareals Quelle, Nürnberg
Bauteil 1 + 4
Bauherr:
Bayerische Versorgungskammer (BVK)
Projektentwicklung:
Accumulata Real Estate
Architektur:
kister scheithauer gross, Köln/Leipzig/Berlin
Projektteam:
Ruth Hofmann-Richert (Projektleiterin)
Frederike Arns (Projektleiterin)
Martin Lohmann (Bauleitung ksg)
Patrick Meyer (Leitung Innenarchitektur)
Planung: Gregor Flisek, Jakob Kirchfeld, Lisa Stotz, Sandra Czubinzki-Nitz, Julia Collmar, Wolfram Schurack, Ledio Devolli, Fabian Singler
Prof. Johannes Kister
(entwurfsverantwortlicher Gesellschafter)
Bauzeit Bestand: 1954 – 1967
Planungszeit: ab 2018
Transformation: 2021 – 2026
Fotos: Schnepp Renou
In seiner Architektursprache hat Ernst Neufert in der Tradition der Bauhausmoderne einen Ausdruck für die Arbeitsweise innerhalb des Gebäudes gefunden. Beispielsweise die von außen sichtbaren, an den Decken verlaufenden Paketförderbänder verdichteten sich zu einem ikonografischen Bild, während die hohen Brüstungen die Arbeitenden verdecken.
Nach dem Konkurs des Quelle-Konzerns im Jahr 2009 gab es zahlreiche Versuche, die tiefen, unbelichteten Bauteile einer neuen Nutzung zuzuführen. Zeitweise konnten einzelne Flächen als Ateliers, Ausstellungs- und Büroflächen sowie durch eine Schule genutzt werden. Immer wieder aufkommende Vorschläge für Rückbaumaßnahmen, die bis zum vollständigen Abriss reichten, scheiterten glücklicherweise am Widerstand der Stadt Nürnberg. Heute ist es gelungen, eine Projektentwicklung unter weitestgehendem Erhalt der ursprünglichen Erscheinung umzusetzen. Das Gesamtprojekt besteht aus fünf Bauteilen, von denen jeder für sich mit speziellen Strategien entwickelt wird. Drei der fünf Bauabschnitte (1, 4, 5) sind mit zwei Bauherren im Bau, zwei weitere sind noch nicht in Planung. Dabei realisiert ksg die Bauteile 1 + 4, querwärts Architekten realisieren mit BAYIKO den Bauteil 5 auf Basis der Machbarkeitsstudie von ksg.
Die verbindende Fassade und die konstruktiven Eigenheiten des Neufert-Baus halten die Bauteile zusammen. Die historische Ziegelfassade wird umlaufend in situ bestehen bleiben, fachgerecht konserviert und durch neue filigrane Stahlfenster in Anlehnung an das historische Bild ergänzt. Um die charakteristischen hohen Brüstungen erhalten zu können und den Blick von innen nach außen zu ermöglichen, werden die Böden angehoben. Eingeschnittene Innenhöfe ermöglichen es, die Gebäudetiefen zu belichten und eröffnen Optionen einer wirtschaftlichen und qualitativ hochwertigen Transformation des großflächigen Produktionsgebäudes mit vielerlei Nutzungen wie Büro, Wohnen und Hotel. Das Einschneiden der Höhe unterlag dabei klaren Regeln, da die vorgespannte Stahlbetonkonstruktion, die nicht von den bestehenden Treppenhäusern ausgesteift wird, anspruchsvoll ist und nur bestimmte Eingriffe verträgt.
Zentrales Element wird nach dem Umbau im historisch gesehen ersten Bauabschnitt das ca. 1.000 m² große Quelle-Forum als ein öffentlicher, überdeckter Platz unter dem großen Saal im 3. Obergeschoss. Indem die Deckenfelder entfernt werden, bleibt die Konstruktion als Gerüst stehen, das jedem Betrachtenden das Skelett des Neufert-Baus sichtbar werden lässt. Das Quelle-Forum verbindet zukünftig den neuen Vorplatz an der Fürther Straße mit dem großen ehemaligen Anliefer- bzw. Ladehof im Inneren des Quartiers, den eine markante weitspannende Stahlbetonkonstruktion im heute rückwärtigen Gebäudeflügel überwölbt. Eine zweite Passerelle durch den Gebäudekomplex wird sich der Öffentlichkeit in Form des kleinen Hofes eröffnen, der sich zwischen den südwestlichen Bauteilen spannt.
Die Größe des Gebäudes legt nahe, dass nicht nur eine Nutzungsform im Gebäude einziehen kann, sondern eine Vielzahl von Nutzungen sich zu einem neuen Quartier im Haus zusammenfindet. Die große Zahl von ca. 1.000 – 1.500 geplanten Wohnungen in den beiden noch zu entwickelnden Bauteilen macht zusätzlich gewerbliche als auch soziale Einrichtungen, wie beispielsweise eine Kita notwendig. Die Erdgeschosszonen sind gewerblichen und sozialinteraktiven Nutzungen vorbehalten, so dass die Nahversorgung sowohl für die Wohnungen und Büros gewährleistet ist. Ein großer Nutzungsbaustein ist das Sozialrathaus der Stadt Nürnberg, das 2026 in die Bauteile entlang der Fürther Straße einziehen werden. Der große Saal von Neufert mit seiner stromlinienförmigen Deckengestaltung bleibt vollständig erhalten und findet eine neue Nutzung als Bürgeramt, die es erlaubt ihn öffentlich erlebbar zu machen.
Das denkmal- und urheberrechtlich geschützte Gebäude, das in der Stadt Nürnberg eine besondere Rolle im Stadtgedächtnis spielt, ist auf einem guten Weg, einerseits nach außen die „brutale“ Horizontalität zu erhalten, aber im Inneren flexibel aktuelle Nutzungsanforderungen wie eine offene Bürolandschaft für die Stadt Nürnberg optimal zu gewährleisten und – mit der Neufert-Aura versehen – sich von beliebigen Bürolandschaften abzusetzen. Aus einer singulären Nutzung wird nach der Transformation eine kleine Stadt, die aus sich heraus die „Quelle“ für eine langjährige Rückführung eines ikonografischen Gebäudes in die urbane Nachbarschaft eingliedert.


